Es sind allzu vertraute Bilder und Stimmungen, die uns im nunmehr dritten Spielfilm von Neill Blomkamp begrüßen: Wieder nutzt er Johannesburg als Bühne für eine technologische Dystopie, dieses Mal kurzfristig ins Jahr 2016 blickend, an der die mechanische Überlegenheit der oberen Zehntausend gegen die Unterschicht im Dreck visualisiert wird. Im Futurismus eines Polizeistaates verkauft der Konzern von Michelle Bradley (Sigourney Weaver) Roboter für den urbanen Einsatz, entwickelt vom jungen, ambitionierten Computergenie Deon (Dev Patel). Seine Kreationen verbreiten schon Ehrfurcht, was dem militärischen Kollegen Vincent Moore (Hugh Jackman) aber so gar nicht passt, will jener Zeitgenosse mit seinem von Menschen gesteuerten Mech-Entwurf Moose doch auf der Karriereleiter aufsteigen. Diese antagonistischen Rahmenbedingungen gehen aber niemals über die Einfältigkeit heraus, mit der Blomkamp seine bisherigen Arbeiten hier nochmals destilliert und nach „District 9“ und „Elysium“ erneut in einem pseudo-dokumentarischen Intro mit anschließendem Übergang zum Spielfilm etabliert. Kann man als selbstbewusstes Stilmittel akzeptieren oder schlicht als Ideenlosigkeit bewerten.

Jedenfalls probiert er nun in diesem geradezu eigenen Genre, das anhand simpler Nerd-Zitierung zum verslumten Zeitbezug ansetzt, die Einarbeitung originärer Kunst in Form des Musiker-Duos Die Antwoord. Die sich hier quasi selbst darstellende Rap-Rave-Kombo aus Kapstadt um Ninja und Yo-Landi Visser erhält allerdings eine genauso simplifizierte Einführung wie der Rest des Ensembles: Als krasse Gangster geraten sie zu hektischen Überfällen und misslungenen Drogendeals schnell ins Kreuzfeuer der Autorität, während Hans Zimmers Score auf Action pumpt und Blomkamps Schnitt voller Taktlosigkeit gerne darauf zurückgreift und permanent Emotionen forciert. Ebenso plump erläutern Ninja und Yo-Landi ihre Motivation, einen eigenen Roboter zur kriminalistischen Beihilfe zu bändigen, wofür man nur den Erfinder der Kisten entführen müsse. Jener Deon träumt derweil von einer künstlichen Intelligenz mit eigenem Bewusstsein – wie der Zuschauer sich bei Blomkamps Filmen selbstständige Visionen erhofft –, findet allerdings keinen Anklang bei seiner profitfokussierten Chefin, weshalb er dafür auf illegalem Wege zu einem ausgemusterten Schrottdroiden greift. Wie der Zufall so will, wird er just mitsamt Forschungsbeute von Die Antwoord gekidnappt.

Mit der Adoption des neugeborenen Cyborgs, der fortan „Chappie“ genannt wird, beginnt allerdings auch das eigentliche Herzstück des gleichnamigen Films. Der eigentliche Entwickler Deon wird nach Hause geschickt, während sich Ninja und Yo-Landi allmählich als Erzieher des lernfähigen Roboters erweisen. Yo-Landi fördert dabei als Mutter dessen sanfte und künstlerische Talente, liest ihm Märchen von schwarzen Schafen vor und integriert ihn somit als Teil der Familie, während Ninja ihm als konsequenter Daddy die Skills zum Killen, Ballern und Rauben beizubringen gedenkt. Jenes Tauziehen wirkt in dieser Konstellation nicht nur optisch frisch, sondern lebt vom Charme des reizvollen Musikergespanns sowie der ausgezeichneten Realisierung von Chappie (empathisch gesprochen von Sharlto Copley). Diese Herzlichkeit einer ungewöhnlichen Familie würde vollständig für einen Spielfilm ausreichen – mit einem stetig vermenschlichten Roboter im Fokus, der kontinuierlich mehr vom Leben, vom Hass, von der Armut und der dennoch bestehenden Sozialität im Untergrund lernt. Im audiovisuellen Wust der Standardisierung versemmelt Blomkamp jedoch die Konzentration aufs Wesentliche und drängt auf die Abarbeitung seiner selbst auferlegten Klischees, mit denen der Kampf zwischen Gut und Böse wieder mal in die formelhafte Endrunde zu gehen hat.

Innerhalb dieser obligatorischen Gleichförmigkeit erhalten die Pointen und Schicksalsschläge nur ansatzweise das Gewicht, das sie verdienen würden, da der Regisseur seine Szenarien gnadenlos voran peitscht und beinahe nur aus Versehen noch in gelungene Momente driftet. Damit torpediert er die eigentliche Einzigartigkeit seines Unterfangens, mit derartigen Ressourcen, Effekten und (kaum genutzten) Stars ein Mainstream-Vehikel für Die Antwoord zu produzieren. Der Enthusiasmus dafür ist schon präsent, genauso wie die Hits der Gruppe angenehme Duftnoten markieren – man wird dennoch nie das Gefühl los, dass Blomkamp ihnen mit seinem Sci-Fi-Fanboy-Baukasten schlicht nicht gerecht wird und die womöglich einzige Chance zu dem Die-Antwoord-Spielfilm in den Sand setzt. Ein Harmony Korine kann bewiesenermaßen eher das Irre an der Gruppierung in reizvolle Selbstverständlichkeiten umsetzen (siehe den Kurzfilm „Umshini Wam“) – Blomkamp hingegen interessiert sich eher für die oft gestellten und auch schon besser beantworteten Fragen vom Humanismus für Androiden („Ex Machina“) und das Weiterleben des Bewusstseins in Maschinen („Transcendence“).

Zugegebenermaßen ist seine Zelebrierung dessen weit lustvoller ausgefallen als der frustrierende Vorgänger „Elysium“ und für den Genre-Freund wird reichlich Spiel, Spaß und Splatter aufgesetzt, wobei sich alles dank des flexibleren Budgets noch bescheidener im Ambiente gibt. Ohnehin kann man trotz aller zielloser Naivität in Blomkamps Inszenierung nicht leugnen, wie sein Hybrid aus Kommerz und Anarchie an sich selbst rumschraubt und immer wieder Goldstücke der Drolligkeit und Versöhnung findet. Die Unterordnung des Besonderen gegenüber konventionellen Formeln und Story-Mechanismen schmerzt jedoch zu schwer, als dass man dem unschuldigen „Chappie“ unbelastet ein Qualitätssiegel aufdrücken könnte. Blomkamp sollte weiter an sich und seinem Gespür fürs Erzählen arbeiten und nicht den unbegrenzten Optionen der Effektschmiede folgen – das hätte er von Mommy Yo-Landi eigentlich lernen müssen. Immerhin braucht er für den bloßen Ansatz von Humor wortwörtlich ein Gummihuhn – das ist bitter.

Meinungen

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