Erst drei, dann neun Männer und eine schwangere Frau stapfen in den Bieszczady im Südosten Polens, es knirscht unter ihren Füßen und als ein Mann beschlagnahmte Zigaretten aus einer Plastiktüte fischt. Die Kälte lässt ihren Atem stocken, der Schnee einen Polizisten fallen. Es ist Februar, 1982. Nicht aber Joel und Ethan Coen wandern nochmals in der salzigen Wodkasuppe, sondern Wojciech Smarzowski. Aber der meint das verdammt ernst. Trotzdem eröffnet erst eine nihilistische Reminiszenz an „Fargo“ die irre Todesspirale aus Alkohol, Brüsten und einer Axt, welche als bösartig-schwarze Vorboten für das Übel in „Dom zły – The Dark House“ fungieren. Es ist Oktober, 1978. Eine Frau fällt in Mosty, in der Gemeinde Goleniów, um, wie der Mann im Schnee später umfällt. Sie aber bleibt liegen, den kruden Rettungsmaßnahmen ihres Mannes und eines freiwilligen Helfers aus der Nachbarschaft zum Trotz. Intrazerebrale Blutung. Ob es am Tanz oder Wodka liegt? Der Tod seiner Frau führt Edward Srodon (Arkadiusz Jakubik) dorthin, wo die Polizisten 1982 seinetwegen lungern. Weil es ein Rätsel zu entdecken gibt, um das sich keiner mehr wirklich schert, außer die Akten, in denen davon geschrieben steht. Der Kommunismus zwingt die Bürgermiliz zu arbeiten.

In der Nacht im Herbst 1978 lässt der Himmel statt Schnee nur Regen kommen. Daher trampt Edward zu einem maroden, dem als böse titulierten Haus irgendwo in der Pampa, obwohl er nur eine Farm in der Nähe sucht, die ihn als neuen Tierwirt anstellt. Der alte kam irgendwie nie wieder. Tot, ertrunken in Wodka oder im See, verloren auf der Straße. Wer weiß. Während er die Frau im Inneren noch euphorisch begafft, als sie halb nackt über einem Kübel Wasser ihre Haare wäscht, beißt ihn als Begrüßung ein Hund. Der Herr des Hauses, Zdzislaw Dziabas (Marian Dziedziel), nennt den Köter Blackie, nicht, weil der Hund schwarz wäre, sondern, weil er jeden Hund so nennt. Alle Charaktere dieses Films eint ihr fanatisches Warten auf ihr Schicksal. Was soll da kommen, außer Mord und Totschlag? Da es in dieser selbst erwählten Isolationshaft bis zum nächsten Morgen nichts außer der Frau, dem Mann und Edward gibt, speisen, trinken, vögeln sie miteinander. Bis es nach dem Sex in rastloser, sadistischer Anarchie, der Hoffnung und dem Glauben an nichts mehr endet. Es deutet sich schon an, als Edward die bäuerliche Hühnchensuppe in Hast verschlingt und ihm fast das Würgen kommt. Darauf ein Wodka. Und noch einer. Und noch einer, bis der Hausherr seiner Frau Bozena (Kinga Preis) selbst eine runterhaut. Am Ende der einen Zeitebene gaffen drei Tote auf einen Koffer voller Geld, der am Ende beider Zeitebenen wie bei den Coens auch die Dümmsten tangiert und wie bei Quentin Tarantino mehrere Liter Blut fordert. Natürlich wird den Koffer niemand mehr zu fassen bekommen. Das wäre schließlich zu viel des Glücks, zu viel der Hoffnung.

Es ist ein Polen unter dem Eisernen Vorhang, welches Regisseur Smarzowski in krude Fassung streckt; ein Polen der Gier, des Hungers nach Arbeit und sogar des Nachbarn Frau, der Korruption, soweit die beschlagnahmten Zigaretten reichen. Wer hier Recht wahrt, blitzt am Volk ab. Kommissar Mróz (Bartlomiej Topa) nimmt den Fall um drei unsägliche Tote in einem Haus am Ende der Welt und am Ende des Lebens, wie es die Zeit fordert: Er trinkt auf ihn, während ein Mitarbeiter die Nachstellung der Misere mit Super-8-Kamera einfängt. In grauer, bleierner Stille. So gehört sich das in der Tristesse. Die Groteske und auch folgende Schönheit platziert „Dom zły – The Dark House“ aber noch viel lieber in einen Grenzkörper der menschlichen Konflikte. Es windet sich um den Tod und das Leben: Da ist die Schwangere wohl vom Falschen schwanger, ein Polizist tanzt besoffen auf Tischen, es wird denunziert, Schmiere gestanden und Schmiergeld gezahlt, von der Wahrheit erzählt, aber keine gefunden. Polen im Rausch. Immer herrlich deplatziert und fern wunder Konventionen. Na zdrowie!

Meinungen

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