Eine Kontroverse, zwei Meinungen. Daher besprechen wir Anders Thomas Jensens „Men & Chicken“ mit Mads Mikkelsen gleich doppelt. Eine positive Zweitkritik findet sich hier.

„Men & Chicken“, der neue Film von Anders Thomas Jensen („Adams Äpfel“), symbolisiert bezeichnend den Kontrast zwischen Potenzial und Ausführung. Sein Konzept um fünf Halbbrüder von unterschiedlichen Müttern, die allesamt asozial mit computergenerierter Lippenspalte auf einer dänischen Insel hausen und allmählich das finstere Geheimnis ihres Vaters lüften, könnte als dramatisches Schauerstück für angenehme Verstörung sorgen. Das Problem ist nur, dass der Film eine schwarze Komödie sein will, doch nur beschwerlich die richtigen Töne oder gar Pointen findet. Stattdessen dreht sich der unbeholfene Zynismus seiner Charaktere im Kreis und verfolgt die Philosophie des permanenten Drucks. Keine Darstellung bleibt hier subtil: Das gesamte Ambiente wälzt sich in keimiger Optik, während sich der schlechte Geschmack stets mit Gewalt ausdrückt und irgendwann keine Steigerung mehr hergibt, weil von Anfang an auf den immer gleichen Schockfaktor gesetzt wird.

Schnell ist klar, dass Mads Mikkelsens schnauzertragender Elias (eine Darstellung mit Mut zur Hässlichkeit) unfähig ist, mit Menschen allgemein und mit Frauen speziell jenseits seiner nervösen Rotzigkeit kommunizieren zu können und sich zudem alle paar Meter einen runterholen muss. Wer hier schon nicht lacht, wird mit diesem Film erhebliche Schwierigkeiten haben. Bald stellt sich nämlich heraus, dass alle Brüder mehr oder weniger paarungsunfähig sind und abgesehen vom gemäßigten Gabriel (David Dencik) wahllosen Gewaltimpulsen folgen. Auf Dauer bringt das eine Eintönigkeit mit sich, die auch technisch eher sich selbst überlassen wird. Das Interesse zum kruden Zusammenspiel dieser Familie mag zwar je nach Zuschauer variieren, wirklich in die Vollen wird jedoch nicht gezielt, sondern eher auf Klischees inzestuöser Hinterwäldler zurückgegriffen. Ab und an ist der Film kurz davor, eine entwürdigende Stimmung zu evozieren und den Umgang mit Frauen anhand seiner Charaktere mit zynischer Absurdität zu trivialisieren – die Freigabe ab zwölf Jahren ist durchaus bedenklich, wie auch der Bestand an morbiden Bildern beweist.

In diesen Bildern schlummert allerdings auch das große thematische Potenzial des Films, da er mit obskuren Tierkreuzungen und Experimenten am Menschen einen existenzialistischen Horror in die Welt gebiert, der sich zudem in Gabriels Bemühen um gesellschaftliche Werte unter seinen Brüdern wiederfindet. Es geht um Artenvielfalt und das verständnisvolle Zusammenleben auf diesem Erdball – ein Ansatz, der im Verlauf seine prägnanten Momente erhält, aber meist aufgrund der leidlich aufgebauten Erwartungshaltung eher uneinig im Raum stehen bleibt. „Men & Chicken“ kann eben nur schwer Fuß fassen, wenn es darum geht, außerhalb des Eigenverständnisses zu locken. Er ist gewollt räudig und unangenehm, aber verklemmt sich damit auch gegenüber ehrlicher Charakternähe, da die Faszination zum Außergewöhnlichen durch Witzfiguren ersetzt wird und gegen Ende anhand derer um bizarr verstörende Empathie bittet. Dafür ist es dann strukturell zu spät, aber mit jener Aussicht ist eher einherzugehen, als mit dem bisherigen Versuch, dieses Ensemble als Unterhaltung zu empfehlen. So bleibt es verschenktes Potenzial in misslungener Ausführung.

Meinungen

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