Irgendwann sagt sie ihm, dass sie sich fühle, als ob sie in einer Schleife gefangen wäre. Und tatsächlich ist Rodrigo Sorogoyens „Stockholm“ nichts weniger als eine Schleife, die sich doppelt um die eigene Achse windet und dann abrupt zu Boden fällt. Diese Achse versteht sich als Kontradiktion einer Erzählung über Mann und Frau. Zunächst treffen sie einander. Der Mann sieht die Frau, agiert, kommuniziert, sagt ihr, dass er sie liebe. Die Frau schweigt, wendet sich ab. Es folgt ein Spiel des Mannes, welcher die Abweisung der Frau so lange nicht wahrhaben möchte, bis sie seinen Avancen erliegt. Ein Film endet. Ein anderer beginnt. Die Frau sieht den Mann, agiert, kommuniziert, sagt ihm, dass sie ihn liebe. Der Mann schweigt, wendet sich ab. Es folgt ein Spiel der Frau, welche die Abweisung des Mannes so lange nicht wahrhaben möchte, bis er ihren Avancen erliegt. Ein anderer Film endet. Der Film namens „Stockholm“ aber nicht. Denn die Debatte über die Rolle von Mann und Frau schließt nicht mit dem Abspann – sie beginnt mit ihm.

Die Wahrnehmung der Geschlechter bricht nämlich offensichtlich nach dem Koitus. Also teilt Sorogoyen seinen zweiten Spielfilm in eine Zeit vor dem Beischlaf und in eine Zeit danach. Davor ist die Welt dunkel, warm und unscharf, wenn sie nicht Mann und Frau fokussiert. Danach ist die Welt hell, kalt und monochrom, selbst wenn sie Mann und Frau fokussiert. Was in der Nacht noch heimelig wirkte, ist am Morgen lediglich sterile Ausweglosigkeit. Der Mann will, dass die Frau geht; die Frau will, dass der Mann geht. Sie zanken, ringen um Worte, um Entscheidungen, um Autonomie. Ein wenig Richard Linklater, ein wenig „Before Sunrise“. Doch da der Vergleich bis in die selbstreferenzielle Kapitulation getrieben wird, entsteht aus „Stockholm“ ein obskures Eigengewächs, das sich mit winzigem Budget und Crowdfunding-Unterstützung nicht scheut, seine Figuren unausgegoren zurückzulassen. Mann und Frau gehen miteinander so grob um, wie sie sind. Nur einmal knackst das Prinzip: Als alle Gegenwehr passé ist und ein kleiner, leichter Tanz zur Ouvertüre von Gioachino Rossinis Opera semiseria „La gazza ladra“ entbrennt. Obwohl das wohl zum Syndrom dazugehört, welches „Stockholm“ in seinem zweiten Akt aufspannt.

Meinungen

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