Können Sie es spüren? Diese besondere Jahreszeit, die sich allmählich ins Leben schleicht und mit Geschenken und künstlicher Wärme aufwarten will, um die Kälte der Wahrheit zu vergraulen? Die Rede ist natürlich von der Oscar-Saison. Pünktlich wie eh und je hat sich die Filmindustrie erneut darauf eingestellt, ihre vermeintlich besten Produkte voll ausgezeichneter Darsteller, Regisseure und vor allem relevanter Themen zum Start freizugeben, um die Herzen zu erobern und vor allem gute Chancen auf den Goldjungen im Februar zu erhaschen. Nicht jeder Kandidat hat derart zynische Absichten, aber mancher kann nicht verheimlichen, dass er als Oscar-Bait konzipiert und umgesetzt wurde. „The Danish Girl“ ist solch ein Fall. Nach einer Romanvorlage von David Ebershoff und wiederum basierend auf der wahren Geschichte der transsexuellen Malerin Lili Elbe, besitzt er sowohl gute Absichten als auch filmspezifisches Kalkül im Übermaß. Im Kern hält Lucinda Coxons Drehbuch ein simples Melodram bereit, das äußerst geradlinig und formelhaft von der Sehnsucht nach der wahren Identität erzählt und dabei keine Chance ungenutzt lässt, seine Absichten auch im Dialog eindeutig auszusprechen. Maßgeblich verstärkt wird dieses Konstrukt durch das oberflächliche Casting: Ausgerechnet Eddie Redmayne, seines Zeichens letztjähriger Gewinner des Oscars als bester Hauptdarsteller, gibt hier nach „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ erneut den charmanten Leading man, der eine entscheidende Transformation seines Körpers durchmacht und stets im Licht der Unschuld gezeichnet und von einer aufopferungsvollen Ehefrau unterstützt wird, obgleich sie nur schwer damit leben kann.

Alicia Vikander bemüht sich in letzterer Rolle noch um eine Spannweite zwischen kecker Unbekümmertheit, Verständnis und Verzweiflung – doch für eine Entfaltung dieser behandelt der Film nur oberflächliches Terrain, wie er ihr auch bald einen stoischen Matthias Schoenaerts als Trostpreis anbietet. Alle zusammen unterstützen den Wunsch des engelsgleichen Individuums und geben dafür Grautöne auf, welche diesen Film womöglich über die Erfüllung des Nötigsten etabliert hätten. Das Narrativ jedenfalls wiederholt sich gewiss nicht zum ersten Mal, weshalb Regisseur Tom Hooper auch keine Probleme damit hat, es so gleichgültig zu inszenieren, wie es nur naivste Zuschauer als wahrhaftig empfinden könnten. Sodann zeigt sich der Alltag des Künstlerehepaares Einar (Redmayne) und Gerda Wegener (Vikander) im Kopenhagen der zwanziger Jahre, das nur mittelmäßig über die Runden kommt, bis Einar allmählich die Lust an Seidenstoffen entdeckt und somit den lange unterdrückten Wunsch, eine Frau zu sein, reanimiert. Redmayne spielt diesen Reiz in der Berührung mit Kleid und Körper unter stockendem Atem aus. Später wird er passend dazu mit hinter die Beine geklemmtem Gemächt vor dem Spiegel posieren und die Bewegungen einer Frau nachahmen, als würde Weiblichkeit ausschließlich Vogue-Bildern entsprechen.

Als Gerda diese Interessen ihres Mannes entdeckt, reagiert sie ausgesprochen tolerant und unterstützt ihn sogar so weit, dass sie ihn als Frau auf Feiern mitnimmt und Porträts von seinem zweiten Ich zeichnet. Doch Einar will nicht nur die Hülle einer Frau im Geheimen tragen, sondern seinen wahren Körper erlangen. Folglich gibt es einen durchaus präsenten Interessenkonflikt in der Ehe zwischen Gerda und ihm, wobei der Film das Verständnis für den Partner als gegeben hinnimmt, nach einigen Tränen und Bekundungen der Skepsis jeder Widerstand wegfällt. Im Verlauf wiederholt sich dieser Prozess beständig, je weiter Einar in seiner Wandlung vom Mann zur Frau geht. Die Argumente dafür sind schon im Zeitkolorit inhärent, welches jene Wünsche noch als Perversion und Verbrechen ansah. Folglich sollte Empathie für das Individuum gegeben sein, weshalb Regisseur Hooper scheinbar glaubt, sich dafür nicht weiter anstrengen zu müssen. Zeitweise gibt sich seine Kamera intim und wechselt gefällig Perspektiven am laufenden Band, als müsste er möglichst viel Abwechslung bieten, anstatt etwas erzählen zu wollen. Deutlich wird dieser Charakter einer Auftragsarbeit nicht nur an der Wahllosigkeit seines Stils, der in einer Szene zwischen platten Frontalwinkeln (wie direkt aus der Stummfilmära), extremen Weitwinkel- und Handkameraaufnahmen wechseln kann, sondern vor allem in der manierlichen Beobachtung der Dialoge.

Zudem verharrt das visuelle Spektrum auf zur Genüge ausgeschöpften Motiven wie schmollenden Gesichtern hinter verregneten Glasscheiben. Im Verlauf verstärkt sich die redundante Präsenz jenes Bildes, als ob es das ungenutzte Potenzial an Gefühlen kaschieren müsste. Es ist das Symptom einer übergreifenden Theatralik, welche die Leidensgeschichte der Akzeptanz mithilfe einer audiovisuellen, kitschigen Pastiche zum Wohlfühlen zwingen und über beinahe karikaturenhaft gezeichnete Stationen der Ablehnung zum Rettungsanker in weißen Kitteln und wunderschönen Kurorten kommen muss. Ein Mitgefühl zu Einars Charakter kommt nie zustande, da er sich beinahe ausschließlich durch seinen Wunsch definiert. Dieser trifft im Verlauf zwar auf Widerstände, doch sie können nur einen Bruchteil ihrer Macht ausüben, da die ungeduldige Mise en Scène von vornherein klar macht, dass jene Risiken zugunsten des Ziels kein Gewicht haben werden. Zudem bleibt noch weniger Boden zur Identifikation, sobald „Einar“ zurücktritt und stattdessen „Lili“ übernimmt, welche ebenso nur lächelnd auf die Erfüllung des Wunsches hofft. Die Frage nach dem Warum wird in den Hintergrund gedrängt und beläuft sich höchstens auf einige Anekdoten aus der Jugend, als ob der Film keine Zeit hätte, sich mit einer nachvollziehbaren Psychologie zu befassen.

Stattdessen füllt er seine zwei Stunden Laufzeit mit etlichen Verknappungen, um seine Funktion als leicht verdauliches Melodram abzuarbeiten. So ein Gros an Kompromissen kann nicht einmal technisch über seine Teilnahmslosigkeit hinwegtäuschen. „The Danish Girl“ hätte ein aufrichtiges Plädoyer zur Selbstbestimmung werden können, das nicht nur mit einem Lächeln und einigen hier und da verteilten Tränen über die jeweiligen Sorgen hinweggesehen oder etliche Male den Drang zur Wunscherfüllung proklamiert hätte. Wie viel mehr hätte Hooper allein erreichen können, indem er verinnerlichen ließe, warum Einar sich im angeborenen Körper unwohl fühlt, wenn dieser wirklich nicht der wahren Identität entspricht? Gerade jener Kontext hätte sich ideal angeboten, den heute noch herrschenden Fokus aufs Body image zu analysieren oder gar jenseits der Endstation forcierten Mitleids zu enthemmen. Reicht es wirklich, im Medium Film sagen zu können, die Gesellschaft unterdrücke das Individuum und damit sei geklärt, warum die Transformation geschieht? Oder, dass sich Einars Glück als Lili so äußert, dass er einen Job im Damengeschäft erhält? Derart einfache Thesen zu einem derart komplexen Thema zu erstellen, ist letztendlich halbherzig und illustriert nur allzu enttäuschend, wie die preisködernden Rahmenbedingungen des Films seine potenzielle Relevanz verschwenden.

Meinungen

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