Wie die HFPA (Hollywood Foreign Press Association) denkt, ist ja seit jeher ein gleichsam berechenbares, wie auch frustrierendes Rätsel. Entsprechend dazu hat man sich hierzulande dieses Mal entschlossen, die Übertragung ihrer Golden-Globes-Zeremonie vom allgemeingültigen Fernsehbildschirm fernzuhalten. Vielleicht ist das freundschaftlich zum Schutz vor deren potenzieller Belanglosigkeit gedacht. Wer trotzdem live zusehen will, muss schon im Vornherein Pay-TV-Konten für TNT Serie oder E! Entertainment besitzen. Weil sich aber eben nicht jeder diesen Luxus leisten kann, aber dennoch ein gewisses Grundrecht der freien Ansicht einfordern dürfte (erst recht zu solch später Stunde), findet man immer noch andere Wege dafür – vornehmlich online im reichhaltigen Streaming-Angebot. Für Grenzen in puncto Ausstrahlung ist das digitale Zeitalter nämlich nicht mehr zu haben, das sollte die internationale Vereinigung der HFPA längst begriffen haben. So beschränken wir unsere Berichterstattung also auch nicht auf die reinen Gewinner-Datensätze, die zum Schluss immer herausspringen. Zum guten Ton gehört nämlich dazu, die Performance, eventuelle Höhepunkte und Fauxpas des Abends zu bewerten.

Das fängt natürlich mit den wiederkehrenden Moderatorinnen Tina Fey und Amy Poehler an. In ihrem Intro-Dialog stellen sie eine Plattform harmloser Pointen der Selbstbestätigung für jene Industrie bereit, die sich gerne über ihre kleinen Besonderheiten lustig macht, doch natürlich keinen Biss an sich zulässt, wie es vor drei Jahren noch Ricky Gervais dazu befähigte. Frech ist man da nur noch gegenüber Nordkorea und seiner übertriebenen Faszination mit „The Interview“, dem man hier ungeniert genauso wenig Qualität anrechnet wie wir in der Redaktion. Blöd nur, dass die daraus erarbeiteten Situationskomiken um ein neues Mitglied der HFPA, nun aus der nordkoreanischen Region, nicht weniger berechenbar als Sonys kurzzeitig unterschlagener Film sind. Das geht sogar so weit, dass man daran versucht, den Oscar-Selfie-Kult vom letzten Jahr zu replizieren, wieder mit Meryl Streep als willigen Sketch-Partner. Immerhin erweist sich Michael Keaton dabei als halbwegs fähiger Smartphone-User, wenn er nicht gerade äußerst verdient als bester Hauptdarsteller (Komödie/Musical) für seine Leistung in „Birdman“ von der Bühne geht, vorher allerdings die schönste und rührendste Danksagung hinlegt. In der Hinsicht kann ihm höchstens J.K. Simmons als bester Nebendarsteller dank „Whiplash“ das Wasser reichen, so trocken-ulkig und schön frei von Bullshit er den abgebrühten Sympathen auf dem Parkett abgibt. Kein Wunder, wenn man als Konkurrenz (wortwörtliche) Windelpupser wie Robert Duvall („Der Richter – Recht oder Ehre“) vor sich hat. In Sachen Flatulenz dürfen sich Fey & Poehler übrigens auch mal ein unzensiertes „Bullshit“ erlauben sowie eine gewisse Anerkennung dafür, das niemand wirklich von den TV-Kategorien hören will (wir auch nicht – außer es geht um Kevin Spacey).

Gut gemeint, aber etwas bemüht schwingt die Stimmung aber schnell vom Spaßigen zum Spaßbefreiten, als der Chef der HFPA zu einer Ansprache über freie Meinungsäußerung ansetzt – „from North Korea to Paris“ – und dafür vom ganzen Saal Standing Ovations erhält. Man fühlt sich wohl dazu berufen, als Versammlung von Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens eine derartige Verbindung zum aktuellen Zeitgeschehen darzustellen und für internationale Aufmerksamkeit zu sorgen. Um das allgemeine Klima entschiedener Politik kommt man an diesem Abend aber ohnehin nicht herum, wo doch die Brisanz von den Ereignissen um Ferguson und Co. mehr oder weniger subtil ausgestellt wird, was letztendlich auch zur Wichtigkeit (wohl aber nicht unbedingt zur Auszeichnungs-Tauglichkeit) von Ava DuVernays „Selma“ führt. Wie John Legend schon beim Sieg jenes Films in der Kategorie des besten Filmsongs meint und zudem unfreiwillig das Thema des Abends feststellt: „[…] So connected to what’s happening right now.“. Was sollte man auch anderes erwarten, wenn sich schon Prince extra dafür mit einem Afro auf dem Kopf als Preisgeber blicken lässt. Jared Leto macht seiner politischen Ambition als Presenter ebenso erneut Luft. Nachdem er letztes Jahr bei den Oscars seine Verbundenheit zu den in Russland verfolgten Homosexuellen in seine Dankesrede einbezog, spricht er dieses Mal sein Mitgefühl für die Opfer des Terroranschlags auf die Charlie-Hebdo-Redaktion in Frankreich aus.

Weil man sich aber auch nicht komplett ernst geben will, dürfen einige komödiantischere Zeitgenossen zum Ausgleich sogar noch stärker die Lachmuskeln spielen lassen als Fey und Poehler. Unter anderem seien in der Hinsicht genannt: „The Skeleton Twins“ Kristen Wiig und Bill Hader, Kevin Hart, Jack Black sowie die Überreste von Lily Tomlin und Jane Fonda. Den Vogel schießt allerdings Jeremy Renner ab, welcher Jennifer Lopez hinsichtlich ihrer Bekleidung auf ihre ganz persönlichen Globes anspricht. Nicht jede Frau bei dieser Veranstaltung würde sich so einen Scherz gefallen lassen, wenn man bedenkt, wie Amy Adams, Patricia Arquette, Maggie Gyllenhaal und Co. die Selbstständigkeit und Stärke des weiblichen Geschlechts im Schauspielgeschäft als Exempel der Willenskraft veräußerlichen. Jeder hat nun mal seine Agenda zu tragen und erhält hierfür nun seine Bühne. Dazu passt auch, dass der entschiedene Aktivist (zeitweise Nespresso-Werbeikone) George Clooney den Cecil-B.-DeMille-Award für sein Lebenswerk erhält und sich inklusive pathetischem Supercut als humanitäre Erfolgsperson und Freund aller feiern darf. So macht er Fey & Poehler in Sachen Anspielungen auf die Sony-Hacks Konkurrenz, nachdem er sich für den Independent-Film sowie seine neue Frau freut und sogar noch ein Gedenken an Robin Williams abhakt. „Je suis Charlie …“ darf da zum Schluss nicht fehlen.

Doch was wäre so ein Abend ohne die bescheideneren Zeitgenossen, die ihre Glorie nicht auf sich selbst oder etwaigen Idealen basieren, sondern ihre Inspiration in ihren Mitmenschen finden, welche auch mit schwierigeren Lebensumständen zu hadern haben? Julianne Moore und Eddie Redmayne sprechen darauf in ihren prämierten Rollen an („Still Alice“ und „Die Entdeckung der Unendlichkeit“) und machen auf schwere Krankheiten aufmerksam, die nicht bloß beispielhaft von bekannten Persönlichkeiten, sondern auch von Menschen wie du und ich gemeistert werden. Sie schließen das allgegenwärtige Gefühl der Gleichberechtigung bei dieser Veranstaltung nochmals sauber ab. Deshalb darf auch kein Film wirklich mehrere Preise mit nach Hause nehmen – so gewinnt in jeder Kategorie eben jeweils ein anderer. Doch wie heißt es doch so schön: „Alle sind gleich, nur einige sind gleicher.“ Demnach gehen je zwei Preise an „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ und „Birdman“, wobei „Boyhood“ mit drei Goldkugeln die größte Gunst erfährt – unter anderem für die wohl mächtigsten Kategorien, Beste Regie und Bester Film (Drama). Solch ein Ruhm ist allerdings ebenso vergänglich, wie auch diese souveräne, doch wenig ergiebige Preisverleihung im Schatten eines größeren Ereignisses steht, nämlich den Academy Awards. Nicht, dass die Oscars garantiert von größerer Qualität oder Relevanz gesegnet sein dürften.

Zum Trost für diese respektablen Seelen und zur Erinnerung an jene, die sich nun im Gold glänzen und selbst bestätigt sehen, sollen hier nun einige entschiedene Wörter von Kevin Spacey stehen. Der durfte nach acht Nominierungen endlich den Golden Globe für seine Hauptrolle in „House of Cards“ abgreifen und sich im Gegensatz zu allen präsentablen Sweethearts ein beherztes „I cannot believe I fucking won.“ nicht verkneifen. Aber vor allem konnte er eine Anekdote von einem Gespräch mit Regisseur Stanley Kramer preisgeben, die rückblickend so einiges vom vergangenen Abend in eine erhellende Perspektive stellen dürfte:

‘Your films will stand the test of time and will influence filmmakers for all time.’ And I didn’t know if he really retained what I said or not. Sometimes he did, sometimes he didn‘t. But as I stood up to leave, he grabbed my hand … and he said as clear to me as anything he ever said: ‘Thank you so much for saying that; that means so much to me. I just wish my films could have been better.’ I just wanted to be better, I just want to be better, but this is very encouraging, thank you very much.

Die Gewinner im Überblick

Bester Film – Drama

Bester Film – Komödie oder Musical

Beste Regie

  • Richard Linklater, „Boyhood

Bester Hauptdarsteller – Drama

Beste Hauptdarstellerin – Drama

Bester Hauptdarsteller – Komödie oder Musical

Beste Hauptdarstellerin – Komödie oder Musical

Bester Nebendarsteller

Beste Nebendarstellerin

  • Patricia Arquette, „Boyhood

Bestes Filmdrehbuch

  • Alejandro González Iñárritu, Nicolás Giacobone, Alexander Dinelaris, Armando Bo, „Birdman

Beste Filmmusik

Bester Filmsong

  • Glory („Selma“)

Bester fremdsprachiger Film

Bester Animationsfilm

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