Und schon schwellt das Fieber wieder ab. In der Nacht vom 22. zum 23. Februar wurde die Verleihung der 87. Academy Awards global am Fernseher mitverfolgt und in mehr oder weniger heißer Erwartung wurden endlich jene Gewinner verkündet, auf die man seit Monaten spekuliert hatte. Ebenso blitzschnell wie diese Ansagen sprießt als Informationsfluss nun das vorgefertigte Lob anhand von Artikeln, Bildern, Hashtags und Tweets auf zahlreichen Websites, Social Networks und deren Like-Seiten zu den jeweiligen Filmen auf. Es ist geschafft und man kann wieder zum geregelten Tagesablauf übergehen, sich vielleicht noch freuen oder ärgern – im Nachhinein bleibt jedenfalls die Erkenntnis, dass es vorbei ist und erst nächstes Jahr wieder von vorne beginnt. Alles verläuft nach Plan, ist vernetzt, einkalkuliert und funktioniert wie eine gut geölte Maschine. Unter diesen Umständen muss man auch auf wirkliche Überraschungen verzichten – wenn man mal von Prosiebens Übertragungspanne zu Anfang absieht, welche uns die Dankesrede von J.K. Simmons (Bester Nebendarsteller für „Whiplash“) vorenthielt.
Dafür war der Abend allerdings auf eine Kompaktheit aus, die einerseits aus der Erfüllung der Erwartungshaltung schöpfte, andererseits aber wohl auch Inspiration in der niedlichen Miniaturwelt des mehrfach nominierten „Grand Budapest Hotel“ fand. Das liebevolle Detail dessen spiegelte sich vor allem in den Titelkarten der Nominierten bei den jeweiligen Kategorien wieder – allen voran die Präsentation in Sachen Bestes Szenenbild verzauberte mit Kunst aus der Vogelperspektive. Im Widerspruch dazu stand jedoch die Beibehaltung obligatorischer Showelemente, deren Notwendigkeit erneut mit nicht gerade munterer Ambition auf die Probe gestellt wurde. Ein Moderator wie Neil Patrick Harris hätte schon das Zeug zum aufreizenden Entertainer; hier musste er jedoch fast schon um Lacher betteln, was ihm zeitweise sichtlich unangenehm in den scheinbar zu engen Anzügen wurde. Das Schreiberteam war missmutig, Pointen mit Biss zu entwerfen und suchte stattdessen eine knuffige Versöhnung mit jenen Gästen und Favoriten, die keine Nominierung erhielten.
Zudem gaben sie sich abseits der filmischen Referenzen einem Versuch der Gleichstellung mit dem Publikum durch kindliche Vornamensnennung (à la Mini Playback Show) sowie einem Running Gag von Octavia Spencer hin, die auf einen Koffer aufpassen sollte. Ganz harmlose Angelegenheiten und leider nicht so frisch wie das Aufgebot an Comic Relief bei den diesjährigen Golden Globes – unter solchen Bedingungen ist es sogar geradezu unmöglich geworden, auch nur ein Schimpfwort fallen zu lassen. Wahrscheinlich wurde die Sendung deshalb im Verlauf immer witzbefreiter und auf den Punkt der Auszeichnungen hinarbeitend, wenn auch zumindest noch eine finale, zugegebenermaßen süße Versöhnung zwischen Idina Menzel und John Travolta (nach seinem Adele-Dazeem-Fauxpas) aufbereitet wurde. Einen Vorteil hat die Ideenlosigkeit aber ohnehin an sich, da so etwaige Peinlichkeiten mit obskuren Presentern wie beispielsweise Kirk Douglas vermieden werden konnten.
Weit sympathischer ließen sich die musikalischen Einlagen empfinden, wobei das Intro erst ab dem Einsatz von Anna Kendrick eine Knackigkeit erwirkte, die ungefähr mit jener von Hugh Jackmans Performance anno 2009 mithalten konnte. Doch auch die Auftritte der für Bester Filmsong nominierten Stücke brachten einen Respekt hervor, mit der sich die Regie des Abends größtenteils zurückhielt, wie glücklicherweise auch politische Agenden meist außen vor blieben. Letztendlich musste die Bombe aber sowohl zur Musik und Politik platzen, sobald es um die stolze Präsenz von „Selma“ ging. Jener Film, der kaum mit Nominierungen bedacht wurde, aber eigentlich mehrere verdient hätte, holte nach dem Aufschrei seines Titelsongs „Glory“ zum Ausgleich drei Standing Ovations ab und rührte Chris Captain Kirk Pine zu Tränen, der den Ethos jener völkerverständigenden Science-Fiction von Gene Roddenberrys „Star Trek“ wohl vollends in den Alltag mit übernommen haben dürfte. Weitere offene Tränen brachte natürlich die emotional sofort wirksame „In Memorium“-Diashow hervor, wobei die unterstützenden Streicher dieses Mal einen dezenteren Ton anschlugen.
Und da sich jeder an diesem Abend hauptsächlich klein hielt (selbst Kevin Hart bewies mutig, dass er als einer der wenigen Mitglieder seiner Branche kleiner als Anna Kendrick ist), bietet es sich als Außenstehender an, über die großen Gewinner zu urteilen, obwohl die Academy dieses Mal sogar in vielen Punkten richtig lag (beziehungsweise die Prognosen erfüllte). Der unsägliche „American Sniper“ zog mit nur einer Krönung für den Besten Tonschnitt von dannen; die Inbrunst von „Whiplash“ wurde in seinen drei treibenden Hauptzutaten Bester Ton, Bester Schnitt und Bester Nebendarsteller berücksichtigt; „Grand Budapest Hotel“ entzückte mit seiner entschiedenen Verpackungsfreude jeweils einen Oscar für Beste Filmmusik, Bestes Make-up und beste Frisuren, Bestes Szenenbild und Bestes Kostümdesign; als Bester Dokumentarfilm war „Citizenfour“ schlicht die einzige Wahl; Julianne Moore kann nach ihrer nunmehr fünften Nominierung endlich einen Goldjungen als Beste Hauptdarstellerin für „Still Alice“ mit nach Hause nehmen; die vielerorts übertriebene Größenordnung von „Boyhood“ wurde mit lediglich einer Auszeichnung für Patricia Arquette als Beste Nebendarstellerin unterminiert; und zu guter Letzt: „Birdman“ behauptete mit Auszeichnungen für die Beste Kamera, Bestes Originaldrehbuch und Beste Regie seinen Stellenwert als Bester Film.
Einige Überraschungen, gute wie auch schlechte, möchten wir aber dennoch nicht vorenthalten: So betrübt es, dass in der Kategorie der Animationsfilme auf das sichere Pferd Disney gesetzt wurde, obwohl „The Dam Keeper“ locker den Besten animierten Kurzfilm für „Liebe geht durch den Magen“ hätte einsacken können, wie auch „Die Legende der Prinzessin Kaguya“ als Bester animierter Spielfilm einen distinktiveren Zauber als „Baymax – Riesiges Robowabohu“ verbreitet hätte. Ein Vorzeichen, das sich bei den Golden Globes sowie den BAFTAs ankündigte und nun leider bestätigte, war der Sieg Eddie Redmaynes als Bester Hauptdarsteller für seine Rolle des Stephen Hawking in der aalglatten „Entdeckung der Unendlichkeit“. Seine angemessene, doch gefällige Darstellung des körperlichen Zerfalls zollt zwar Respekt, ist aber kein Vergleich zur Wandelbarkeit eines Steve Carell in „Foxcatcher“ oder der Grenzenlosigkeit eines Michael Keaton in „Birdman“. Hätte letzterer mal einfach nicht durchweg so selbstgerecht seinen Kaugummi auf der Zeremonie gekaut!
Aber was will man machen, außer sich im Nachhinein aufregen? Ändern kann man es ja eh nicht, wie auch die Veranstaltung an sich ihre Regeln kennt und befolgt, es immer gut meint und doch zum Stolpern ansetzt, während man sich Jahr für Jahr fragt, warum man sich diesen ganzen Zirkus überhaupt noch antut und bis zum Morgengrauen dafür aufbleibt. Dabei liegt die Antwort ganz klar auf der Hand: Die Oscars bringen eben Reaktionen hervor; lassen hoffen, dass diejenigen gewinnen, die man zu seinen persönlichen Favoriten erklärt hatte – in einer Sendung, die so unsicher um die eigene Relevanz ringt, dass man stets auch um die Entscheidungskompetenz der Academy bangt. Und dann gibt es ihn manchmal doch, diesen Moment, in dem alles richtig läuft; wo einem bestätigt wird, welcher Film das Zeug hat, anhand eines angeblich wichtigen Preises in die Annalen der Geschichte einzugehen. Was dabei betrieben wird, ist gewiss alles oberflächliche Emotionalisierung und sowieso ein ausdauernder Popularitätswettbewerb. Doch aus diesen Reibungspunkten lässt sich stets noch ein Fieber der Liebe zum Film entfachen.
Die Gewinner im Überblick
Bester Film
Beste Regie
- Alejandro González Iñárritu, „Birdman oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit“
Bester Hauptdarsteller
- Eddie Redmayne, „Die Entdeckung der Unendlichkeit“
Beste Hauptdarstellerin
- Julianne Moore, „Still Alice“
Bester Nebendarsteller
- J.K. Simmons, „Whiplash“
Beste Nebendarstellerin
- Patricia Arquette, „Boyhood“
Bestes Originaldrehbuch
Bestes adaptiertes Drehbuch
Beste Kamera
Bestes Szenenbild
Beste Kostüme
Bester Ton
- „Whiplash“
Bester Tonschnitt
Bester Schnitt
- „Whiplash“
Beste visuelle Effekte
Bestes Make-up und beste Frisuren
Bester Song
- Glory („Selma“)
Beste Filmmusik
Bester animierter Kurzfilm
Bester animierter Spielfilm
Bester Dokumentarfilm
Bester Dokumentarkurzfilm
- „Crisis Hotline: Veterans Press 1“
Bester Realkurzfilm
Bester fremdsprachiger Film
- „Ida“
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